AMA Journal of Ethics

Einführung

Multiple Sklerose (MS) ist eine relativ häufige Erkrankung, von der allein in den USA zwischen 250 000 und 350 000 Menschen betroffen sind. Das Erkrankungsalter liegt typischerweise zwischen 20 und 40 Jahren, wobei Frauen im Verhältnis 2:1 gegenüber Männern überwiegen. Obwohl die genaue Ätiologie nach wie vor unbekannt ist, deuten aktuelle Daten auf genetische und umweltbedingte Einflüsse hin. Die der MS zugrunde liegende Pathophysiologie wird weithin als autoimmun bedingt angesehen. Die klinischen Symptome sind das Ergebnis von Plaques mit Demyelinisierung im zentralen Nervensystem (ZNS), wobei die Axone relativ gut erhalten bleiben. Die Myelinscheide um die Axone ist entscheidend für die Übertragung von Informationen zwischen den Regionen des ZNS. Daher werden die klinischen Symptome der MS durch die genaue neuroanatomische Lage der Plaques bestimmt.

Klinische Symptome und Krankheitsverlauf

MMS zeigt sich typischerweise durch ein plötzliches Auftreten von fokalen oder multifokalen neurologischen Symptomen, die sich über Minuten bis Stunden erstrecken. Die tatsächlichen Defizite können sehr unterschiedlich sein, umfassen aber in der Regel Empfindungsstörungen, einseitigen schmerzlosen Sehverlust, Doppelbilder, Schwäche der Gliedmaßen, Gangunsicherheit und Darm- oder Blasensymptome. Die Symptome können auf eine einzelne Plaque oder auf mehrere gleichzeitige Plaques mit Demyelinisierung beschränkt sein. Ein schubförmiger Verlauf (bei 80-85 Prozent der Patienten) ist durch isolierte „Anfälle“ mit akutem Auftreten solcher fokalen Defizite gekennzeichnet, die sich im Laufe von 6-8 Wochen vollständig oder teilweise zurückbilden. Während zu Beginn der Erkrankung keine Verschlechterung der Symptome zwischen den Schüben auftritt, kommt es bei einer Untergruppe von Patienten schließlich zu einem Fortschreiten der neurologischen Defizite zwischen den Schüben (so genannte sekundär progrediente MS). Im Gegensatz zum schubförmigen Verlauf folgt eine kleinere Gruppe von Patienten einem allmählich fortschreitenden klinischen Verlauf, der als primär progrediente MS bezeichnet wird.

Während MS im Allgemeinen nicht als tödliche Krankheit angesehen wird und nur mit einer geringen Veränderung der durchschnittlichen Lebenserwartung verbunden ist, ist der Verlauf der Krankheit bei einzelnen Patienten recht variabel und schwer vorherzusagen. Nach 15 Jahren sind 20 Prozent der Patienten bettlägerig, 20 Prozent benötigen irgendeine Form von Unterstützung bei der Mobilität und 60 Prozent können ohne Hilfe gehen. Isolierte sensorische Symptome, lange Intervalle zwischen den Schüben und ein normales anfängliches MRT sind prädiktiv für eine gute Prognose.

Diagnose der MS

Die formale Diagnose der MS erfordert den klinischen Nachweis multipler ZNS-Läsionen, die sich über Raum und Zeit verteilen. Bei einem „typischen“ Krankheitsbild, das durch ein abruptes Auftreten von zeitlich diskreten fokalen neurologischen Symptomen gekennzeichnet ist, kann eine eindeutige Diagnose relativ einfach gestellt werden. In Fällen, in denen die Symptome recht unspezifisch sind und sich der Krankheitsverlauf über Monate bis Jahre hinzieht, kann die Diagnose jedoch schwierig sein. Zwei besonders schwierige Diagnosekategorien sind Patienten mit einer Episode isolierter neurologischer Symptome (in der Literatur als Clinically Isolated Syndrome (CIS) bezeichnet) oder solche mit chronisch progredienten Defiziten.

Es wurden mehrere Kriterien entwickelt, um die Diagnose von MS zu unterstützen. Ursprünglich wurden diese Kriterien entwickelt, um eine strenge Rekrutierung von MS-Patienten für klinische Studien zu gewährleisten, sie werden jedoch zunehmend von Klinikern in der täglichen Praxis verwendet. Die „McDonald-Kriterien“ sind eine weithin zitierte Reihe von Leitlinien, die 2001 von einem Expertenausschuss formuliert wurden. Mit den 2005 überarbeiteten McDonald-Kriterien wird versucht, eine Methode zu formalisieren, mit der klinische Symptome, bildgebende Verfahren und Tests in die Diagnose von MS einbezogen werden können. Das Erfordernis der räumlichen und zeitlichen Ausbreitung wird durch ergänzende Labortests und bildgebende Verfahren erreicht, insbesondere durch die MRT-Bildgebung von Gehirn und Rückenmark, die Analyse der Liquorflüssigkeit und funktionelle Tests des Nervensystems wie evozierte Potenziale. Es ist wichtig zu betonen, dass es sich hierbei um sich entwickelnde Leitlinien handelt. Obwohl sie für typische MS-Formen recht empfindlich sind, scheinen sie bei Patienten mit variableren Formen (vor allem bei Patienten bestimmter ethnischer Gruppen) weniger zuverlässig zu sein.

Die Magnetresonanztomographie (MRT) hat sich schnell zur wichtigsten ergänzenden Methode bei der Diagnose von MS entwickelt. Mit der MRT lassen sich die bei MS auftretenden Anomalien der weißen Substanz sehr zuverlässig nachweisen. Darüber hinaus kann die MRT mit Gadolinium als Kontrastmittel äußerst nützlich sein. Plaques, die eine Anreicherung mit Gadolinium zeigen, gelten in der Regel als aktive MS-Läsionen mit fortschreitender Zerstörung der Blut-Hirn-Schranke. Der größte Nachteil ist jedoch die mangelnde Spezifität; andere Krankheitsprozesse führen zu ähnlichen MRT-Befunden. Daher ist es äußerst wichtig, die neuroradiologischen Befunde in den Kontext der demografischen Daten des Patienten (z. B. Geschlecht, Alter und ethnischer Hintergrund) und der zugehörigen Anamnese zu stellen.

Die Analyse der Bestandteile des Liquors (CSF) kann ebenfalls zur Diagnose von MS und zum Ausschluss anderer Krankheitsprozesse wie Infektionen oder Vaskulitis beitragen. Bei MS ist die Gesamtzahl der weißen Blutkörperchen (WBC) im Liquor bei etwa zwei Dritteln der Patienten normal und liegt, von seltenen Ausnahmen abgesehen, unter 50 Zellen/µl. Daher rechtfertigt eine stark erhöhte Anzahl von Leukozyten im Liquor eine umfassendere Suche nach einer alternativen Diagnose. Darüber hinaus ist der Liquor-Immunglobulin (Ig)-Spiegel im Verhältnis zu anderen Proteinkomponenten in der Regel erhöht, was auf eine intrathekale Ig-Synthese hindeutet. In einer kürzlich veröffentlichten Konsenserklärung wurde darauf hingewiesen, dass ein qualitativer Vergleich der IgG-Fraktion im Hinblick auf das Vorhandensein von Liquor-spezifischen oligoklonalen Banden (OCBs) zur Diagnose von MS beitragen kann. Es ist jedoch wichtig, daran zu erinnern, dass OCBs zwar bei > 90 Prozent der Patienten mit klinisch gesicherter MS gefunden werden, dass sie aber auch bei einem kleineren Teil der normalen Patienten vorkommen können.

Darüber hinaus kann eine funktionelle Bewertung der Nervenbahnen auf subklinische Defizite hinweisen. Evozierte Potenziale sind oberflächliche elektrische Ableitungen, die durch die Stimulation von Sinnesbahnen ausgelöst werden. Zu den häufig verwendeten evozierten Potenzialen gehören das visuell evozierte Potenzial (VEP) und die somatosensorisch evozierten Potenziale (SSEP). Mit diesen können Defizite in anatomischen Bahnen festgestellt werden, die mit bildgebenden Verfahren nicht gut sichtbar gemacht werden können. Patienten mit klinisch gesicherter MS haben in 85 Prozent der Fälle abnorme VEPs. Das VEP ist besonders nützlich bei der Suche nach supratentoriellen Defiziten bei Patienten mit klinischen Hinweisen auf infratentorielle Läsionen. SSEPs sind zwar kein formaler Bestandteil der McDonald-Kriterien, können aber bei MS-Patienten ebenfalls abnormal sein. Im Vergleich zur nahezu allgegenwärtigen Verwendung der MRT werden evozierte Potenziale weniger häufig eingesetzt, da sie weniger empfindlich sind.

Klinisch isoliertes Syndrom

Neue Daten deuten darauf hin, dass bis zu 85 Prozent der jungen Erwachsenen, die schließlich MS entwickeln, eine einzelne isolierte Episode mit fokalen neurologischen Symptomen aufweisen. Die konservativste und vielleicht genaueste Methode zur Diagnose solcher Patienten wäre, sie über einen längeren Zeitraum hinweg zu beobachten, damit die klinischen Symptome eindeutig diskreten ZNS-Läsionen zugeordnet werden können. Mit dem Aufkommen der Kernspintomographie des Gehirns und des Rückenmarks gibt es jedoch zunehmend Bestrebungen, diese Mittel einzusetzen, um die Kriterien der „räumlichen und zeitlichen Ausbreitung“ zu erfüllen. Das Bestreben, eine frühere Diagnose zu stellen, lässt sich auf zwei Hauptpunkte zurückführen. Eine frühzeitige genaue Diagnose kann dazu beitragen, die Unsicherheit für die Patienten zu verringern und ihnen den Zugang zu den verfügbaren Ressourcen zu ermöglichen. Der zweite und umstrittenere Punkt ist, dass die derzeitigen Daten darauf hindeuten, dass die verfügbaren Therapien den frühen Krankheitsverlauf verändern und die Entwicklung von MS verzögern können. Wie bereits erwähnt, ist jedoch angesichts des bei einigen Patienten gutartigen Verlaufs der Krankheit unklar, wie die Patienten zum Zeitpunkt der Erstdiagnose behandelt werden sollen. Umfangreiche Forschungsarbeiten befassen sich mit Faktoren, die den Schweregrad der Erkrankung vorhersagen.

Differenzialdiagnose der MS

Es ist von entscheidender Bedeutung, nach anderen Diagnosen zu suchen, die fälschlicherweise für MS gehalten werden könnten. Eine eingeschränkte Differentialdiagnose für MS schließt in der Regel Stoffwechselstörungen, Autoimmunerkrankungen wie Lupus, Infektionen wie Borreliose und HIV, Gefäßerkrankungen, Ursachen für Schlaganfälle bei jungen Menschen und strukturelle Erkrankungen des Gehirns und des Rückenmarks aus. Es ist wichtig zu erkennen, dass die in Betracht gezogenen spezifischen Differentialdiagnosen je nach den vorliegenden Symptomen variieren sollten. Wenn sich ein Patient beispielsweise mit einer neu aufgetretenen Beinschwäche vorstellt, können als Differentialdiagnose gängige Ursachen für Rückenmarksstörungen wie B12-Mangel, HIV-assoziierte Erkrankungen, strukturelle und/oder vaskuläre Läsionen des Rückenmarks und genetische Ursachen für Rückenmarkserkrankungen in Betracht gezogen werden.

Schlussfolgerung

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Multiple Sklerose eine relativ häufige neurologische Erkrankung mit unterschiedlichen Erscheinungsformen und einem nicht vorhersehbaren Verlauf ist. Die eindeutige Diagnose von MS erfordert nach wie vor den klinischen Nachweis multifokaler neurologischer Defizite, die sich zeitlich und räumlich ausbreiten. Während die Forschung weiterhin an der Verbesserung von Markern und Tests arbeitet, die zu einer früheren Diagnose führen, gibt es in Einzelfällen oft Unsicherheiten in Bezug auf die Diagnose und die frühe Behandlung. In dem Maße, wie wir mehr Behandlungsmöglichkeiten entwickeln, wird es immer wichtiger werden, die Notwendigkeit einer frühen Diagnose mit der Genauigkeit einer solchen Diagnose in Einklang zu bringen.

  • Ethik/Praxis,
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