Abstract
Tramadol ist ein starkes Analgetikum mit antidepressiver Wirkung wie Venlafaxin. Hypomanische Züge wurden bei Patienten mit psychiatrischer Vorgeschichte von Stimmungsstörungen berichtet, wenn ihnen Tramadol verschrieben wurde. Bei Patienten ohne psychiatrische Vorgeschichte ist eine solche stimmungsaufhellende Wirkung jedoch äußerst selten zu beobachten. Wir berichten über die Beobachtung einer beunruhigenden stimmungsaufhellenden Wirkung von Tramadol bei einem Patienten ohne psychiatrische Vorgeschichte. Wir stellen den Fall einer 26-jährigen Patientin vor, die nach der Einnahme einer Dosis von 50 mg Tramadol einen beschleunigten Redefluss, Überaktivität und Schlafstörungen entwickelte. Diese Symptome verschwanden vier Stunden später und traten wieder auf, als sie erneut Tramadol einnahm. Die Patientin hatte in der Vorgeschichte keine Stimmungsstörungen oder andere psychiatrische Komorbiditäten. Kliniker sollten bei der Verschreibung von Tramadol Vorsicht walten lassen.
1. Einleitung
Tramadol ist ein bekanntes starkes zentral wirkendes Analgetikum mit nachgewiesenen pharmakologischen Wirkungen auf Opioidsysteme (hauptsächlich μ-Opioidrezeptor-Agonismus) und Nicht-Opioidsysteme (5-Hydroxytryptamin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung) . Tramadol ist in der Tat eng mit der chemischen Struktur aller Antidepressiva mit dualer Wirkung verwandt, insbesondere mit Venlafaxin. Somit haben Tramadol und Venlafaxin eine gemeinsame monoaminerge Wirkung, die zu den Auswirkungen von Tramadol auf die Stimmung führt. In der klinischen Literatur finden sich zahlreiche Berichte über antidepressive Wirkungen von Tramadol, entweder in Kombination mit anderen Antidepressiva oder allein bei Patienten mit und ohne Bedarf an Analgesie. Gegenwärtig wächst die theoretische und klinische Besorgnis über Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln, wenn Tramadol gleichzeitig mit serotonergen Antidepressiva eingenommen wird.
Eine kürzlich veröffentlichte Übersichtsarbeit kommt zu dem eindeutigen Schluss, dass „Vorsicht geboten ist“, wenn Tramadol Patienten verschrieben werden soll, die Antidepressiva einnehmen (und umgekehrt), wobei eine klare Kontraindikation für die Verwendung von Tramadol bei Patienten besteht, die Mono-Amin-Oxidase-Hemmer einnehmen. Bemerkenswert ist, dass Tramadol aufgrund seiner starken Blockade der Serotonin-Wiederaufnahme ein Serotonin-Syndrom verursachen kann, selbst wenn keine Antidepressiva gleichzeitig eingenommen werden.
Hypomanische Züge wurden bei Patienten mit psychiatrischer Vorgeschichte von Stimmungsstörungen berichtet, wenn ihnen Tramadol verschrieben wurde. Bei Patienten ohne psychiatrische Vorgeschichte ist eine solche stimmungsaufhellende Wirkung jedoch äußerst selten zu beobachten. In diesem Bericht beschreiben wir den Fall einer nicht-psychiatrischen Patientin, die zu Beginn der Einnahme von Tramadol zur Kontrolle ihrer Schmerzen beunruhigende Gemütssymptome erlebte.
2. Fallvorstellung
Wir stellen den Fall einer 26-jährigen Patientin vor, die aufgrund einer Spondylolisthesis im fünften Lendenwirbel schwere anhaltende Schmerzen im unteren Rückenbereich entwickelte. Tramadol 50 mg wurde als nicht-chirurgische Maßnahme verschrieben, um eine zufriedenstellende Analgesie zu erreichen. Sie nahm eine 50-mg-Tablette ein und die Schmerzen wurden wirksam kontrolliert. Allerdings bemerkte sie fast sofort einen beschleunigten Redefluss und konnte ihr Verlangen, unaufhörlich zu sprechen, nicht kontrollieren. Außerdem war sie in den folgenden vier Stunden nach der Einnahme der 50-mg-Tramadol-Dosis ziemlich überaktiv und „auf Trab“. Sie bemerkte, dass sie nicht „stillsitzen“ wollte und lief weiter hin und her und war mit dem Putzen des Hauses beschäftigt, da sie mehr Energie verspürte. Sie war nicht in der Lage zu schlafen, obwohl sie eine erhöhte Reizbarkeit erlebte, die weder mit extremer Freude noch mit Euphorie einherging. Sie nahm zweimal, 4 und 7 Tage später, Tramadol 50 mg ein, und derselbe Zustand (übermäßige Redseligkeit, Überaktivität und Verzweiflung) trat bei beiden Gelegenheiten wieder auf und dauerte jeweils genau 4 Stunden. Ataxie, Zittern, Sehstörungen oder andere neurologische Anzeichen oder Symptome traten nicht auf. Sie wollte kein Tramadol mehr einnehmen.
Besonders hatte sie keine nennenswerte psychiatrische oder neurologische Vorgeschichte. Sie nahm keine psychotropen Medikamente aus körperlichen oder psychologischen Gründen ein. Sie hatte keine Vorgeschichte von Missbrauch oder Abhängigkeit von illegalen Substanzen.
Neben der Spondylolisthesis litt sie an Urtikaria und einer angeborenen Sehnervenkippung. Sie nahm auf Wunsch eine Tablette Chlorzoxazon, Ranitidin 150 mg täglich und Desloratadin 10 mg täglich ein.
3. Diskussion
In den letzten Jahren wurde eine Reihe von Fällen von Hypomanie und Manie als Folge von Tramadol veröffentlicht. So beschrieb Sharma (2016) den Fall einer Patientin, die nach der Einnahme von Tramadol zur Behandlung von Fibromyalgie hypomanische Symptome entwickelte; bemerkenswert ist, dass die Patientin eine etablierte Diagnose einer bipolaren affektiven Störung hatte.
Das Auftreten von Stimmungssymptomen nach der Verschreibung von Tramadol stellt für Kliniker ein echtes Problem dar, wenn es um die Vorhersage geht, bei wem solche Symptome auftreten und wie sie eine wirksame Behandlung einleiten können. In einer neueren Studie wurde festgestellt, dass die Verschreibung von Antidepressiva nach Beginn einer Tramadol-Therapie zugenommen hat. Soweit wir wissen, gibt es keine Studien, in denen die Verschreibung anderer Psychopharmaka, insbesondere von Stimmungsstabilisatoren, bei Patienten untersucht wurde, denen Tramadol verschrieben wurde.
Einzigartig an unserem Fallbericht ist das Auftreten von hypomanieähnlichen Symptomen bei einem Patienten, der in der Vorgeschichte keine Stimmungsstörung oder andere psychiatrische Komorbidität aufwies. Die Überaktivität und Redseligkeit traten bei unserem Patienten fast unmittelbar nach der Einnahme von Tramadol auf und verschwanden innerhalb weniger Stunden wieder. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit unserer Behauptung erheblich, dass solche hypomanieähnlichen Symptome durch Tramadol verursacht wurden. Alle anderen möglichen Erklärungen (wie z. B. eine primäre unterschwellige Stimmungsstörung, krankheitsbedingte Stimmungsauffälligkeiten) waren angesichts der Vorgeschichte unserer Patientin äußerst unwahrscheinlich.
Stimmungsaufhellung als Folge der Tramadol-Behandlung könnte als unerwünschte Verlängerung der antidepressiven Wirkung von Tramadol angesehen werden. Es wurde vorgeschlagen, dass viele neurologische Signalwege an der antidepressiven Wirkung von Tramadol beteiligt sind. Neben den serotonergen und noradrenergen Rezeptoren könnte Tramadol durch seine Fähigkeit, an dopaminerge D2 und D3-Rezeptoren und Imidazolin-I2-Rezeptoren zu binden, eine antidepressive Wirkung entfalten. Viele andere Mechanismen, die für die antidepressive Wirkung von Tramadol verantwortlich sind, wurden untersucht. In einem neueren Experiment fanden Jesse et al. Hinweise darauf, dass der Signalweg, der L-Arginin-Stickoxid-zyklisches Guanosinmonophosphat umfasst, an der antidepressiven Wirkung von Tramadol beteiligt ist. In einem früheren Experiment wurde festgestellt, dass Tramadol eine erhebliche Verringerung der alpha-2-adrenergen Rezeptoren in allen Hirnregionen verursacht, ähnlich wie die Wirkung von Mirtazapin und Mianserin. Andere Experimente wiesen darauf hin, dass Tramadol die Dichte der adrenergen Alpha-1-Rezeptoren in der Hirnrinde erhöht und zu einer Hochregulierung der dopaminergen Rezeptoren im Nucleus accumbens führt, der wichtige Funktionen für das Motivationsverhalten hat.
Die Ergebnisse klinischer Studien zeigen, dass 7 % der Patienten, die Tramadol einnehmen, eine deliriumähnliche Stimulation des zentralen Nervensystems mit einem breiten Spektrum körperlicher, neurologischer und emotionaler Symptome erleben. Die beobachteten emotionalen Erscheinungen sind meist Symptome eines hyperaktiven Delirs und umfassen Angstzustände, Schlafstörungen, emotionale Labilität, Euphorie und Verwirrung. Der genaue Mechanismus der Entwicklung solcher unerwünschten idiosynkratischen Nebenwirkungen von Tramadol ist jedoch noch weitgehend unbekannt. Auch der Anteil der Patienten ohne psychiatrische Vorgeschichte, die solche emotionalen Wirkungen entwickelten, war unklar, obwohl man davon ausging, dass er recht gering war.
Wir berichten über die Beobachtung einer beunruhigenden stimmungsaufhellenden Wirkung von Tramadol bei einem Patienten ohne psychiatrische Vorgeschichte. Dies veranlasst die Ärzte natürlich dazu, bei der Verschreibung von Tramadol Vorsicht walten zu lassen. Außerdem empfehlen wir eine engmaschige Nachbeobachtung nach Beginn der Tramadol-Behandlung, um in dieser Patientenkohorte auf Stimmungsprobleme zu achten.
Wir empfehlen außerdem die Durchführung von Längsschnittstudien, um die Prävalenz und die Prädiktoren für das Auftreten von Stimmungsproblemen bei Patienten, die Tramadol verwenden, zuverlässig zu bewerten.
Einverständniserklärung
Wir danken der Patientin für ihre informierte Zustimmung zur Veröffentlichung dieser Fallstudie.
Interessenkonflikte
Wir erklären, dass es keine Interessenkonflikte in Bezug auf die Veröffentlichung dieses Fallberichts gibt.