Nordmazedonien und Griechenland: Was steckt in einem Kompromiss?

23.05.2019

Nach einem langen Streit mit Griechenland hat sich Mazedonien auf eine Namensänderung in Nordmazedonien geeinigt. Auf beiden Seiten gab es politische Gewinner und Verlierer, meint Boris Georgievski von der DW.

„Ein Kompromiss ist die Kunst, einen Kuchen so aufzuteilen, dass jeder glaubt, das größte Stück zu haben“, sagte der ehemalige deutsche Bundeskanzler Ludwig Erhard einmal. Passt das auf Nordmazedonien und Griechenland?

Wenn man den perfekten Kompromiss als eine Situation definiert, in der niemand gewinnt und niemand verliert, dann würde der Abschluss des jahrzehntelangen Namensstreits zwischen Nordmazedonien und Griechenland nicht in diese Kategorie fallen. Nicht, weil es keine Gewinner und Verlierer gibt. Ganz im Gegenteil. Das so genannte Prespa-Abkommen, benannt nach den Seen, die sich Albanien, Griechenland und Nordmazedonien teilen, beendete einen der langwierigsten und bizarrsten Streitfälle der Welt: einen Konflikt zwischen zwei benachbarten Ländern über Geschichte, Identität und Territorium. In vielen anderen Teilen der Welt wären diese Fragen von Historikern, Soziologen oder Anthropologen diskutiert und möglicherweise beigelegt worden. Aber auf dem Balkan beginnen und enden alle Probleme mit der Politik. So schien die Lösung des Streits lange Zeit unwahrscheinlich, und selbst heute, nach seinem erfolgreichen Abschluss, erscheint er immer noch als eine Ausnahme von Winston Churchills berühmtem Zitat, das viele als Regel über den Balkan als eine Region interpretieren, die mehr Geschichte produziert, als sie konsumieren kann.

Natürlich werden die Balkanbewohner ihre Suche nach einer besseren und glorreicheren Vergangenheit fortsetzen – Nationalisten sowohl in Nordmazedonien als auch in Griechenland, die sich immer noch gegen die Namensvereinbarung wehren, sind das perfekte Beispiel dafür – aber das Prespa-Abkommen bietet beiden Ländern und der Region etwas Einzigartiges: die Chance, eine bessere und glorreichere Zukunft aufzubauen.

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Dieser Kompromiss hat, vereinfacht gesagt, sowohl Gewinner als auch Verlierer hervorgebracht. Die Regierungen in Skopje und Athen unter den Premierministern Zoran Zaev und Alexis Tsipras gehören eindeutig zur ersten Kategorie. Sie setzten ihre politische Zukunft aufs Spiel und sahen sich einer starken Opposition und oft gewalttätigen Protesten von Nationalisten in ihren Gesellschaften gegenüber. Der Ewald-von-Kleist-Preis, den Tsipras und Zaev während der Münchner Sicherheitskonferenz in diesem Jahr erhielten, war eine gerechte Belohnung für ihre Annäherungspolitik.

Der Blick aus Skopje und darüber hinaus

Für Nordmazedonien öffnet das Abkommen die Tür zur Vollmitgliedschaft in der NATO und eine Chance, endlich Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union aufzunehmen. Sowohl die NATO als auch die EU wurden von den Mazedoniern selbst lange Zeit als Garanten für eine stabile und blühende Zukunft des kleinen Balkanstaates gesehen. Jetzt hat die neue Generation endlich die Chance, mit dem Graben in der Vergangenheit aufzuhören und mit der Planung für die Zukunft zu beginnen.

Die historische Versöhnung gibt Griechenland auch die Chance, endlich ein Kapitel abzuschließen, das in den vergangenen 28 Jahren, seit die (ehemalige) Republik Mazedonien ihre Unabhängigkeit vom ehemaligen Jugoslawien erklärt hat, viele politische Krisen verursacht hat. Anstelle eines problematischen Nachbarn hat Griechenland nun einen Verbündeten an seiner Nordgrenze, was angesichts der schwierigen Beziehungen zu anderen Nachbarländern, vor allem der Türkei, keine Kleinigkeit ist. Das Abkommen dient der Strategie der griechischen Regierung, „eine führende Kraft auf dem Balkan und im östlichen Mittelmeerraum“ zu werden, wie Premierminister Tsipras im Dezember letzten Jahres erklärte.

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Im weiteren Kontext des Balkans und Südosteuropas verbessern das Prespa-Abkommen und der NATO-Beitritt Nordmazedoniens die regionale Stabilität in Zeiten, in denen die Geister der Vergangenheit wieder aufzutauchen drohen – und insbesondere im Hinblick auf die erwartete Lösung der Kosovo-Frage – mit oder ohne den vorgeschlagenen Gebietsaustausch mit Serbien.

Ein Gewinn für die EU

Boris Georgievski, Leiter des mazedonischen Dienstes der DW

Nicht zuletzt gibt das Abkommen der EU etwas, mit dem sie in der westlichen Balkanregion arbeiten kann. Es ist ein Beispiel, das Brüssel nutzen kann, um den Streit zwischen Kosovo und Serbien zu überwinden und das bosnische Rätsel zu lösen.

Nationalisten auf beiden Seiten der Grenze sind die klaren Verlierer dieses Kompromisses. Sowohl in Nordmazedonien als auch in Griechenland haben sie mit Händen und Füßen dafür gekämpft, dass der Streit weitergeht. Jahrzehntelang war der Streit ihr modus vivendi und modus operandi. Ohne ihn stehen sie mit leeren Händen da, wenn sie in- und ausländische Feinde und populistische Themen verfolgen.

Boris Georgievski

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