Wenn Sie genauer hinsehen, werden Sie feststellen, dass das hi- ursprünglich im griechischen historia enthalten war, von dem es ins Lateinische entlehnt wurde. Die Anfangssilbe wurde im Spätlateinischen abgeschwächt und manchmal weggelassen und im Altfranzösischen zu e- reduziert, aus dem das Wort ins Mittelenglische entlehnt wurde.
In ME taucht es als historie, istorie, estorie und histoire auf, die alle OF-Formen darstellen, die wahrscheinlich vom Lateinischen beeinflusst wurden – denn natürlich war Latein immer noch eine lebendige Schriftsprache der Gelehrsamkeit und Wissenschaft. Daneben tauchte eine „einheimische“ Version auf, bei der die Anfangssilbe ganz weggelassen wurde; diese erscheint als storie, stor, storri, mit den Pluralen stories, storise, storius und storien.
Alle diese Formen wurden gleichgültig für jeden erzählenden Bericht verwendet, ob formale Chronik oder offenkundige Romanze. Erst im frühneuzeitlichen Englisch – dem 16. Jahrhundert – begannen sich die Schreibweisen und Formen – wahrscheinlich wiederum beeinflusst durch den Status des Lateinischen als Hauptunterrichtssprache – in die gegensätzlichen Begriffe history = faktische Erzählung und story = fiktive Erzählung zu verwandeln.
Anzumerken ist, dass der französische Begriff histoire bis heute sowohl Geschichte als auch Historie bedeutet – wie auch der entsprechende Begriff im Deutschen, Geschichte. Ich nehme an, dass dies auch in vielen anderen europäischen Sprachen der Fall ist.
EDIT:
Dieser vereinfachte Gegensatz wird von Arlen Beiler und John Lawler zu Recht in Frage gestellt: Geschichte umfasst jede Erzählung, nicht nur fiktionale Erzählungen, und die beiden Begriffe wurden nie vollständig voneinander getrennt. Aber im Großen und Ganzen ist Geschichte zu einem Produkt der akademischen Disziplin geworden, während Geschichte zu einer fesselnden Erzählung geworden ist. OED 1 drückt es, wie ich finde, unter Story 4 e ziemlich treffend aus:
Ursprünglich = HISTORY 4 b; aber im modernen Gebrauch (aus der Assoziation mit Sense 5) impliziert es, dass der Verlauf der Ereignisse, auf die Bezug genommen wird, die Art von Interesse hat, die das Ziel der Fiktion ist, zu schaffen.
Ich muss auch zugeben, dass die Historiographen in den letzten zwei Generationen dem Ranke’schen eigentlich gewesen skeptisch gegenüberstehen und sich des Elements der Mythopoesie in ihrer Arbeit viel bewusster sind; in gewissem Sinne kollabiert die Geschichte also wieder in der Geschichte.