Das Kama Sutra als Werk der Philosophie

NEU DELHI – Yoga ist auch für die meisten Inder schwer, und sie praktizieren es sicher nicht beim Sex. Wahrscheinlich haben sie eine solche Kombination in ihrer ganzen Geschichte noch nie versucht. Die weltweite Auffassung, dass die alten Inder beim Sex extreme Gymnastik betrieben, wurde durch eine englische Übersetzung eines Sanskrit-Textes aus dem späten 19. Jahrhundert namens Kama Sutra genährt, der unter anderem Einzelheiten über sexuelle Stellungen, praktische Ratschläge zur Verführung und eine Notiz über erotische Frauentypen enthielt, die nach Säugetieren benannt wurden, obwohl sie, wie ein in diesem Monat veröffentlichtes Buch feststellt, Geräusche wie Vögel machten.

„The Mare’s Trap: Nature and Culture in the Kamasutra“ (Die Stutenfalle: Natur und Kultur im Kamasutra) von Wendy Doniger, einer amerikanischen Akademikerin, vertritt die Ansicht, dass der Sex im Kamasutra, wie einige anspruchsvolle Paare vielleicht schon vermutet haben, eher ein Streich als eine Gebrauchsanweisung ist. Doch das große Ziel ihres Buches ist es, das Kamasutra in den Rang zweier großer philosophischer Werke zu erheben, die die indische Gesellschaft beeinflusst haben: Manus Dharmashastra, das die Kasten erfand und die Frauen als den Männern untergeordnet definierte, was einige feine Leute, die den Namen des Autors teilen, in Verlegenheit brachte, und Kautilyas Arthashastra, ein unbarmherziges Buch über Staatskunst.

Über die Ursprünge des Kama Sutra ist sehr wenig bekannt. Kein Teil des Originaltextes ist erhalten geblieben. Es wurde wahrscheinlich von einem gewissen Vatsyayana in Sanskrit geschrieben. Er scheint ein Kompilator von Sexualgewohnheiten gewesen zu sein und gab einem anderen Gelehrten die Schuld für die Erfindung einiger sehr schwieriger Sexualstellungen. Frau Doniger glaubt, dass das Kamasutra etwa 2.000 Jahre alt ist, aber sie sagte mir, dass dies nur auf Indizien beruht.

Der Grund, warum sie das Kamasutra so ernst nimmt, ist, dass sie, obwohl sie glaubt, dass die sexuellen Stellungen Fantasien waren, im Rest des Werkes nichts weniger als Anthropologie sieht, ein seltenes Porträt einer wohlhabenden alten Gesellschaft. Außerdem gibt es stilistische Ähnlichkeiten zwischen dem Kamasutra und den Werken von Manu und Kautilya. Alle drei enthalten psychologische Analysen und Anweisungen und teilen die Menschen in Typen ein.

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